Peter Wawerzinek, geschätzter Freund des Forums Gestaltung und begnadeter Wortkünstler, wurde von der Magdeburger Volksstimme mit einem Artikel bedacht:
Grit Warnat | Magdeburger Volksstimme | 28.2.2024
Bachmann-Preisträger Peter Wawerzinek zog es von Berlin nach Rom und nun nach Magdeburg. Jetzt arbeitet er in der Landeshauptstadt an seinem neuen Buch.
Magdeburg. - „Im zweiten Leben machst du alles ganz anders, hab ich mir gesagt.“ Peter Wawerzinek lächelt sanft bei diesem Satz. Sein zweites Leben hat nach 30 Jahren in Berlin, drei Jahren in Rom – und einer Krebserkrankung – nun in Magdeburg wieder Fahrt aufgenommen. Eine kleine Wohnung hat er gefunden, auch die Liebe. Und: „Mein Schreibspaß ist zurück.“
„Rom sehen und nicht sterben“ soll der autobiografisch gefärbte Roman heißen, der, so Wawerzineks große Hoffnung, im Herbst zu den Lesern kommen soll. Dann wird der Neu-Magdeburger 70.
Noch ist einiges zu schreiben, 250 Seiten sollen es werden, doch die Konturen werden schärfer, nachdem der Schriftsteller schon so einiges verworfen hat, auch den ursprünglichen Anfang mit Vogelschwärmen über Rom. „Ich habe mich für die Briefform entschieden“, sagt er und schließt an: „Da kann ich gut aus dem tiefen Inneren schreiben.“ Der Münchner Penguin Verlag habe Interesse bekundet, das Buch zu verlegen. Der 69-Jährige lächelt: „Endlich wieder ein Roman.“
Es war lange Zeit ruhig geworden um den gebürtigen Rostocker. 2019 hatte er mit „Liebestölpel“ seine Vogelnamen tragende Trilogie beendet, deren erster Band „Rabenliebe“ 2010 erschien, ein schmerzhaftes Aufarbeitungsbuch über eine Kindheit in Heimen, weil seine Mutter in den Westen floh und ihn als Kleinkind in der DDR zurückgelassen hatte. Er hatte damals erzählt, er habe sich so nackig wie möglich machen wollen, um kleinkindhaft, schutzlos der Mutter gegenüberzutreten.
Textauszüge brachten ihm in jenem Jahr den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis ein. Die Ehrung in Klagenfurt katapultierte ihn in den deutschen Literaturbetrieb. Plötzlich häuften sich Interviewanfragen, Fernsehauftritte, die für Autoren so wichtigen Lesungen. „Rabenliebe“ stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Weitere Veröffentlichungen folgten. 2015 zog der Berliner temporär nach Magdeburg. Mit dem Stadtschreiberstipendium wurde die Landeshauptstadt für ein halbes Jahr Wohn- und Arbeitssitz. Bei einer seiner Lesungen erzählte er, mit wie viel Freude er an der Elbe lebte, beobachtete und schrieb. Man merkte ihm an, dass das nicht nur lapidar dahingesagt war.
Auch nach der Stipendiatenzeit zog es Wawerzinek immer wieder nach Magdeburg. Weil er eingeladen wurde und weil er Freunde gefunden hatte wie Norbert Pohlmann vom Forum Gestaltung, der den Kontakt hielt. 2019 stellte er in Magdeburg seinen ersten Dokumentarfilm „Lievalleen“ vor, ein bemerkenswertes, unter die Haut gehendes Debüt. Wie schon in seiner Trilogie verarbeitete er die Flucht der Mutter aus seinem Leben und die tief sitzende Angst des Alleingelassenwerdens.
Es ist sein Trauma. Im Film sprach er von den Vögeln im Geäst, die er Spürvögel nannte, die von ihm ausgeschickt wurden, um nach der Mutter, nach dem Vater zu suchen. Er war erst drei Jahre alt, seine Schwester gerade mal zwei, als die Eltern aus dem Haus in Rostock gingen und die Kinder sich selbst überließen. Für die Wunden gab es kein Pflaster. Der Film verdeutlichte: Wawerzinek hat nicht nur literarisch eine kraftvolle poetische Sprache.
Aber von Rom nach Magdeburg? Eine gewagte Entscheidung. Wawerzinek sagt schmunzelnd, er hatte hier noch Kartons stehen, mit denen wollte er nicht noch einmal umziehen. Dann erzählt er von den zurückliegenden Jahren zwischen Glücksmomenten und Nackenschlägen, von seinem Ritterschlag, wie er das Stipendium der damaligen Kulturstaatsministerin Grütters zu Recht nennt, als er 2019 in die Villa Massimo in Rom einziehen konnte, eine der renommiertesten deutschen Künstlerresidenzen im Ausland.
Dann kamen Corona und Lockdown. Die sonst so quirlige Stadt stand still. Er sei zu Fuß unterwegs gewesen, habe die Leere genossen. Schließlich verlängerte er seinen Aufenthalt in der italienischen Hauptstadt - bis zu einem Arztbesuch und der plötzlichen Krebs-Diagnose. „Es war merkwürdig: In der ewigen Stadt über die persönliche Vergänglichkeit nachzudenken.“
Operation, Chemotherapie und die damit einhergehende Schwächung des Körpers. Lange Zeit war an Schreiben nicht zu denken. Der Körper machte nicht mit, das Gehirn auch nicht, sagt er. „Aber jetzt hat mein neues Leben begonnen.“ In den Worten steckt viel Zuversicht. Zuversicht auch für das neue Buch mit Berlin und Rom und Magdeburg, drei so ungleiche Orte, die für Veränderung in seinem Leben stehen. „Ich vereine die Städte“, sagt er.
Es wäre kein Wawerzinek, wenn nicht das eigene Erleben Niederschlag finden würde. Aber er benenne nicht Chemo und Krebs, sondern finde eigene Wörter und drehe Rom einfach um, so dass man mor lese und Tumor daraus werden könne. „Mein Sound ist geblieben“, ist sich der Schriftsteller sicher. Seine Fans wird das freuen. Er gilt als filigraner Wortspieler.
Im vergangenen Herbst erschien sein dichterisches Debüt: Gedichte aus über 50 Jahren, komponiert zur Schiffsreise eines Matrosen, der nie auf See ging, erschienen bei Engeler Verlage in der Schweiz. Der Titel „Die letzte Buchung“. Von wegen! Wawerzineks Träume gehen weiter: zuerst ein Kinderbuch und dann noch eine große Novelle.
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